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„SightCity ist mehr als eine Messe – sie ist ein Herzensprojekt“

02.06.2025

Die SightCity in Frankfurt ist die weltweit größte Fachmesse für blinde und sehbehinderte Menschen - und weit mehr als eine reine Produktschau. Sie ist Plattform, Treffpunkt und Ideenschmiede. Für Geschäftsführerin Dagmar Krutzki ist sie vor allem eines: ein persönliches Anliegen. Im Gespräch während der SightCity, die vom 21. bis 23. Mai im Kap Europa stattfand, erzählt sie von Barrierefreiheit, persönlichen Beweggründen und der Zukunft der Messe.

SightCity-Geschäftsführerin Dagmar Krutzki (li) mit der Frankfurter Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg bei der Eröffnung der SightCity Messe im Kap Europa.
SightCity-Geschäftsführerin Dagmar Krutzki (re) mit der Frankfurter Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg bei der Eröffnung der SightCity Messe im Kap Europa.

Frau Krutzki, was bedeutet Ihnen die Messe SightCity persönlich?
Seit acht Jahren bin ich Teil des Organisationsteams. In dieser Zeit ist die SightCity zu einem echten Herzensprojekt geworden. Wir haben gemeinsam als Team Höhen und Tiefen erlebt, viel gelernt und uns weiterentwickelt. Mein persönlicher Hintergrund spielt dabei eine große Rolle: Mein Großvater kehrte nach dem Krieg mit nur einem funktionierenden Auge zurück. Später verlor er durch einen Schlaganfall fast vollständig das Sehvermögen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sehr mich als junge Frau die gesellschaftliche Ungleichbehandlung von Menschen mit Sehbehinderung aufgeregt hat.

Ich arbeite im Marketing eines Hilfsmittelherstellers, der Mitgesellschafter der SightCity ist. 2023, nach der Corona-Pause, habe ich zusätzlich die SightCity-Geschäftsführung übernommen. Die Messe fand früher im Sheraton Hotel am Frankfurter Flughafen statt. Seit 2023 haben wir mit dem Kap Europa eine neue Heimat gefunden, die uns ganz neue Möglichkeiten bietet.

Was hat sich seit dem Umzug ins Kap Europa verändert?
Wir haben die Veranstaltung stark professionalisiert. Früher bestand die Messe im Grunde nur aus einer Ansammlung von Tischen und Stühlen für die Aussteller. Heute gibt es eine klare Struktur, ein hybrides Format mit rund 150 Ausstellern aus 25 Ländern und über 130 Vorträgen. Hinzu kommt unser eigener Streamingkanal: SightCity TV. Außerdem haben wir 2023 unser 20-jähriges Bestehen gefeiert. Über die Jahre haben wir konsequent digitalisiert, neue Angebote geschaffen und die Plattform barrierefreier gestaltet. SightCity ist mittlerweile eine hybride Messe und wächst in jeder Hinsicht.

SightCity-Geschäftsführerin Dagmar Krutzki (li) mit der Frankfurter Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg bei der Eröffnung der SightCity Messe im Kap Europa.

Besucher*innen vor dem Kap Europa am Eingang der SightCity Messe. Die Messe war ein voller Erfolg.
Besucher*innen vor dem Kap Europa am Eingang der SightCity Messe. Die Messe war ein voller Erfolg.

Was zeichnet den Standort Frankfurt für Sie aus?
Als SightCity vor 20 Jahren gegründet wurde, war die Messe Rehacare in Düsseldorf schon etabliert. Eine sehr gute Messe, keine Frage. Aber der Fokus liegt dort eher auf sichtbaren Behinderungen, etwa Mobilitätseinschränkungen. Menschen mit Sehbehinderung werden häufig nicht direkt als solche wahrgenommen - und leider auch oft übersehen. Unsere Gesellschafter wollten eine Messe schaffen, die sich gezielt diesen Bedürfnissen widmet. Frankfurt, als zentral gelegene Stadt mit guter Anbindung, war dafür ideal.

Wie stellen Sie sicher, dass auch blinde und sehbehinderte Gäste sich auf der Messe gut zurechtfinden?
Unser Guide-Service ist fester Bestandteil der SightCity. Die geschulten Messe-Guides holen Besucher*innen im Viertelstundentakt am Hauptbahnhof Frankfurt ab und bringen sie zum Kap Europa und begleiten sie ebenfalls auf ihrem Rückweg, sodass sich niemand wirklich verlaufen kann. Während der Messe können sich Besucher*innen mit unserem „Rent-a-Guide“-Service individuell begleiten lassen. Die Guides kennen sich bestens mit den Ausstellungsbereichen aus und unterstützen gezielt beim Erkunden der Messe.

Gab es einen besonders bewegenden Moment während der Messe, der Ihnen in Erinnerung geblieben ist?
Ja, da gibt es viele. Ein Erlebnis ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: Vor zwei Jahren besuchte ein ägyptisch-deutsches Ehepaar die Messe. Der Mann war blind und völlig überwältigt von der Vielfalt der Angebote. Auf der Rolltreppe brach er in Tränen aus, weil er kaum glauben konnte, dass es eine Veranstaltung gibt, die so genau auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Das war ein zutiefst emotionaler Moment, der uns alle berührt hat.

Besucher*innen vor dem Kap Europa am Eingang der SightCity Messe. Die Messe war ein voller Erfolg.

Auf der Messe können viele verschiedene Hilfsmittel ausprobiert werden.
Auf der Messe können viele verschiedene Hilfsmittel ausprobiert werden.

Welche Themen und Innovationen stehen aktuell im Mittelpunkt?
Unser Fokus liegt klar auf blinden und sehbehinderten Menschen - allerdings erweitern wir diesen zunehmend. Wir kooperieren beispielsweise mit dem Deutschen Taubblindenwerk und haben dank Förderung durch Aktion Mensch erstmals Gebärdendolmetscher für Vorträge im Einsatz.Technologisch zeigen wir die gesamte Bandbreite: von analogen Hilfsmitteln wie Langstöcken und tastbaren Karten bis hin zu digitalen Lösungen mit KI-Unterstützung. Viele denken bei Sehhilfen nur an Brillen - doch die Bedürfnisse sind viel komplexer. Neu ist in diesem Jahr auch eine Workshop-Bühne zum inklusiven Gaming sowie eine eigene Mobilitätsfläche.

Wie hat sich das gesellschaftliche Bewusstsein für Barrierefreiheit verändert?
Es hat sich einiges getan. Ein gutes Beispiel ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz: Am 28. Juni 2025 trat eine wichtige Frist in Kraft - ab dann müssen die Websites von vielen Unternehmen und öffentlichen Stellen vollständig barrierefrei sein. Lange wurde dieses Thema unterschätzt, auch von vielen Web-Agenturen. Jetzt ist es deutlich präsenter. Das merken wir auch an der gestiegenen Nachfrage nach unseren Schulungen und Workshops.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der SightCity?
Viele würden sich wohl weiteres Wachstum wünschen. Ich wünsche mir vor allem, dass wir in unserer neuen Heimat im Kap Europa bleiben können. Die Vielfalt, die hier zusammenkommt, ist wirklich einzigartig. Natürlich wachsen wir sehr gut - aber in einem gesunden Maß. Wichtig ist: Die SightCity ist zwar eine GmbH, wir arbeiten aber wie eine gemeinnützige Organisation. Unser Ziel ist nicht der Profit, sondern eine starke Plattform für Austausch, Begegnung und Inklusion.

Auf der Messe können viele verschiedene Hilfsmittel ausprobiert werden.

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