Vor meiner Ankunft im November letzten Jahres habe ich mich für eine sehr starke und unabhängige Frau gehalten. Ich hatte einen Job, der mir unheimlich Spaß machte, hatte eine gute Work-Life-Balance, habe jeden Monat gerne Ausflüge gemacht und viele Abende und Wochenenden gemeinsam mit meiner Familie und meinen Freunden verbracht. Ich habe die Welt durch eine rosarote Brille gesehen und entsprechend gelebt.
Nach ein paar Tagen in den USA habe ich allerdings gemerkt, dass ich eigentlich noch nie etwas eigenständig gemacht habe. In Indien habe ich nie ein Essen gekocht oder das Geschirr gespült und noch nicht einmal den Einkauf besorgt – ganz zu schweigen von komplexeren Aufgaben wie Bank-, Steuer- und Versicherungsangelegenheiten oder Rechnungszahlungen. Dafür gab es in Indien immer Fachleute oder Helfer, die bei Bedarf beauftragt wurden. So habe ich begonnen, die früheren Gegebenheiten allmählich in Frage zu stellen. Ich habe mich sogar scherzhaft gefragt, wer hier eigentlich ein Erste-Welt-Land ist, denn das Leben in Indien war wirklich königlich!
Kochen als Therapie
Bei meiner Ankunft in den USA wurde mir klar, dass ich nicht mehr nach Hause kommen und mit warmem, hausgemachtem Essen begrüßt würde – das musste ich nun selbst übernehmen. Und so habe ich angefangen, Neues zu lernen.
Das Leben hier ist ganz anders, aber dadurch konnte ich meine Stärken kennenlernen und nutzen. Mittlerweile macht es mir Spaß, Dinge eigenständig zu erledigen – das gilt vor allem fürs Kochen, das für mich nach einem langen Arbeitstag wie eine Therapie ist. Meine persönlichen Essexperimente und Erfahrungen mit dem typisch amerikanischen Frühstück halte ich fest. So habe ich eine Seite bei Instagram eingerichtet, um einige meiner schönsten Erinnerungen zu teilen. Beim Geschirrabwasch bekomme ich aber jedes Mal aufs Neue Heimweh!
Wirklich überrascht hat mich an meinem neuen Leben in Atlanta, dass es hier so grün, friedlich und ruhig ist – fast so, als würde man in den Bergen leben. Wenn man die Hektik in Mumbai gewohnt ist, kommt einem das erst einmal unheimlich vor und man erschrickt schon beim kleinsten Geräusch. Mittlerweile liebe ich die Ruhe, das morgendliche Vogelgezwitscher und die Rehe im Wald. Ich habe sogar schon Kojoten und Waschbären gesehen. Das ist wirklich ein tolles Erlebnis!
Ich bin hier im Winter angekommen und habe mich total darauf gefreut, zum ersten Mal Weihnachten zu feiern. Kein Weihnachtsmarkt in der Stadt war vor mir sicher. Neben regionalen Köstlichkeiten und heißer Schokolade habe ich probiert, Schlittschuh zu laufen. Die Stimmung dabei habe ich wirklich genossen. Eigentlich habe ich erwartet, dass der erste Weihnachtstag am spektakulärsten ist, fast so wie Diwali, unser Lichterfest in Indien. Am 25. Dezember war dann aber niemand auf der Straße. Alle waren zu Hause oder außerhalb der Stadt unterwegs, um gemeinsam mit der Familie zu feiern. Weihnachten ist eine besondere Zeit für Familien und ich freue mich schon, dieses Jahr gemeinsam mit meiner Familie das Weihnachtsfest in den USA zu feiern.
Führerschein als größtes Ziel
Die größte Umstellung – verglichen zu meinem Leben in Mumbai – war für mich das Autofahren hier. In Indien habe ich für alles die öffentlichen Verkehrsmittel oder ein Uber-Taxi genutzt. Wir hatten zwar mal ein Auto, haben es aber nach nicht einmal zwei Jahren wieder verkauft, weil in Indien öffentliche Verkehrsmittel einfach viel praktischer sind und unser Auto nur herumstand. In den USA ist ein Auto allerdings ein Muss. Die Leute sind hier nicht so viel zu Fuß unterwegs. Jeder fährt Auto und Erledigungen werden in der Regel auch mit dem Wagen gemacht. Momentan ist deshalb mein größtes Ziel, den Führerschein zu machen und ein eigenes Auto zu haben. Die Straßen sind hier einfach nur toll und ich kann es kaum erwarten zu fahren. Diese Umstellung nehme ich gerne in Kauf.
Die größte Herausforderung nach meinem Umzug war, wie schon erwähnt, der Geschirrabwasch – das ist einfach nicht mein Ding. Aber im Ernst: Meiner Meinung nach ist nichts im Leben schwierig. Es kommt einfach auf die richtige Einstellung an. Außerdem haben mich alle aus dem US-Team der Messe Frankfurt vom ersten Tag an herzlich aufgenommen und mir alles wirklich leicht gemacht.
Arbeit als Herausforderung
Aus beruflicher Sicht hat mir an meinem Umzug am besten gefallen, dass ich hier neue Aufgaben habe. Die Arbeit ist eine Herausforderung, aber diese nehme ich gerne an. Mithilfe meiner Arbeitserfahrung aus Indien, meines Teams und meiner beiden Mentoren Raj und Winston konnte ich bereits eine solide Grundlage im Bereich PR und Kommunikation schaffen. Mit allen Messemarken, Richtlinien und Märkten bin ich schon vertraut. Grundlegend verändert hat sich für mich, dass ich meine Kenntnisse vertiefen und mich an den US-Markt anpassen muss. So kann es beispielsweise sein, dass einige der erfolgreichsten PR-/Marketing-Strategien der indischen Messeindustrie für den US-Markt nicht geeignet sind.
Die kulturelle Vielfalt am US-Standort ist einfach wunderbar. In meinem Team arbeitet eine bunte Mischung aus Kolleginnen und Kollegen, die aus Amerika, Mexiko, der Türkei und, in meinem Fall, aus Indien kommen. Außerdem haben wir einen deutschen Chef. Jeder bringt so viele interessante und unterschiedliche Sichtweisen ein und seine persönliche Geschichte mit. Uns alle verbinden aber die universellen Werte und ethischen Arbeitsbedingungen der Messe Frankfurt.
Ruhi Shaikh (MFUSA)